Allgemein

Die Schlagader des Hunsrücks

20. Juli 2018

Es war für die damalige Zeit – und ist es bei der kurzen Bauzeit auch heute noch – ein Mammut-Projekt: Vor 80 Jahren begann der Bau der Hunsrückhöhenstraße. Innerhalb von nur wenigen Monaten wurden die abgelegenen Dörfer zwischen Rhein und Mosel durch eine erstmals asphaltierte und durchgängige Straße erschlossen. Auf Befehl von Hermann Göring wurden 140 Kilometer in 100 Tagen gebaut.

Dazu wurde ein eigenes Gesetz erlassen, das es ermöglichte, deutsche Staatsangehörige für diese Arbeit zu verpflichten. Göring, als MInisterpräsident und Beauftragter des Vier-Jahres-Plans, unterzeichnete das am 22. Juni 1938 verabschiedete Gesetz. Die Arbeiter waren während der Zeit an ihrer ursprünglchen Arbeitsstätte beurlaubt.

Die Begründung war, dass es sich um eine Arbeit handelte, die aus „staatspolitischen Gründen keinen Aufschub dulde“ – die Hunsrückhöhenstraße sollte dem Militär als Aufmarschroute nach Westen dienen. Bis zu 5000 Arbeiter waren im Sommer 1938 an dem Projekt allein im Abschnitt Hundheim-Malborn beteiligt.

Der 99-jährige Morbacher Hermann Catrein kann sich noch an diese turbulente Zeit erinnern: „Ich war damals ja schon 19 Jahre alt und ausgelernt. Ich habe bei der AOK Hochwald gearbeitet und unser Büro war in Morbach. Durch die Zwangsverpflichtung hatten wir pötzlich 3700 Mitglieder mehr in der der Krankenkasse. Wir sind aus allen Nähten geplatzt und mussten Tausende Karteikarten anlegen.“ Er habe viele Arbeiter kennengelernt. „Stellen Sie sich mal vor – da kommt ein Friseur auf die Baustelle, der den ganzen Tag schaffen musste. Nach zwei Tagen hatte er eiternde Schwielen an den Händen. Dann wurde er krankgeschrieben und nach Hause geschickt.“

Die Arbeiter kamen schließlich aus allen Berufszweigen. Eines Tages seien Herren in Anzug und Tanzschuhen auf der Baustelle aufgetaucht. Sie waren im Hamburger Rotlichtmilieu tätig. „Denen hat die Baufirma erstmal Arbeiterschuhe und Hosen gegeben. Was die geleistet haben, ist aber nicht bekannt,“ sagt Catrein schmunzelnd.

Viele Bauernfamilien hätten damit Geld verdient, Zimmer an die Arbeiter zu vermieten und sie mit Mahlzeiten zu versorgen. „Die Arbeiter haben damals 60 Pfennig Stundenlohn erhalten, das waren 14 Pfennige über Tarif und auch mehr als in den Sägewerken hier in der Gegend.“ Nach zwei Monaten sei der Boom aber wieder etwas abgeflacht. Manche Arbeiter seien in Morbach geblieben und hätten Familie gegründet, erinnert sich Catrein. Aber langfristig habe die Straße die Gegend bereichert. „Das hat sich schon bemerkbar gemacht. Sie ist die Schlagader des Hunsrücks geworden. Es gab ja stellenweise nur Kieswege. Allerdings wurde die Straße auch nicht komplett neu gebaut, sondern sie verband bereits existierende Wege miteinander, die dann ausgebaut wurden. So gab es ja auch schon den alten Ausoniusweg, der am Belginum entlangführt,“ erklärt Catrein und räumt mit dem Mythos auf, dass die Straße in nur 100 Tagen komplett neu gebaut worden sei. Manche Abschnitte verliefen auf alten Trassen, die nur verbreitert werden mussten. Die Straße weise auch eine weitere Besonderheit auf: Sie komme vollkommen ohne Brücken aus und verlaufe grundsätzlich nicht durch Ortschaften. „Das weist auf den militärischen Zweck der Straße hin. Wird zum Beispiel eine Brücke zerstört, dann dauert es sehr lange, sie wieder aufzubauen. Das kann bei dieser Straße nicht passieren, selbst wenn der Belag zerstört wird, kann man das rasch reparieren,“ erklärt Catrein. Auch ihre Breite habe mit 7,50 Metern weit über dem damaligen Standard von fünf Metern für „Reichsstraßen“ gelegen. Sie habe sogar damals eine Radfahrerspur gehabt, die aber selten genutzt wurde.

Berthold Staudt, Heimatforscher aus Morbach und ehemaliger Mitarbeiter im Rathaus, ergänzt, dass die Straße offiziell dem Tourismus dienen sollte, tatsächlich aber aus militärischen Gründen angelegt worden war. „Das hat schon einen Boom gebracht. Es gab ja sonst keine Arbeit im Hunsrück. Viele haben gerade von dem gelebt, was das Feld hergab. Es war schon etwas besonderes, dass die Straße so schnell gebaut wurde.“

In der heutigen Zeit sei das geradezu unvorstellbar. Allein die Planungen für solche Straßen würden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen. „Damals wurde ein Pflock ins Feld gerammt und gesagt: Hier kommt die Straße hin. Das hatte zur Folge, dass wir erst in den 1970er Jahren den Grundwerwerb mit den Bauern im Rathaus zu Ende abwickeln konnten.“

Quelle: Trierischer Volksfreund, 20. Juli 2018, Hans-Peter Linz

Fotos: TV / Hunsrückverein

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