Allgemein

„Ich glaube an das Kino der Zukunft“

08. August 2020

Von der Lola zum Edgar: Aus Morbach stammender „Heimat“-Regisseur kann der Pandemie eine hoffnungsvolle Seite abgewinnen.

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Die Filmbranche unter Corona-Bedingungen: Edgar Reitz desinfiziert symbolisch die im April erhaltene Ehren-Lola (Foto) des Deutschen Filmpreises. Zum Festival „Heimat Europa“ wird er auch in den Hunsrück kommen.

Zum zweiten Mal finden in diesem Jahr die „Heimat Europa“-Filmfestspiele statt. Am Sonntag beginnt in Simmern (Rhein-Hunsrück-Kreis) nach Angaben der Veranstalter das seit Ausbruch der Corona-Pandemie wohl erste analoge Filmfestival. Die Filme werden nicht gestreamt und im Internet gezeigt, sondern laufen vor Ort und mit Publikum open-air oder als Autokino. Schirmherr ist der 87-jährige Regisseur Edgar Reitz, der mit seiner „Heimat“-Reihe Filmgeschichte geschrieben hat. Mit unserer Redakteurin Ilse Rosenschild sprach der erfolgreiche Filmemacher über eine besondere Auszeichnung, die Auswirkungen der Pandemie auf die Filmbranche und über die Festspiele, die am Sonntag beginnen.

Sie bekamen im April 2020 im Rahmen des Deutschen Filmpreises die Ehren-Lola für Ihr Lebenswerk. Zunächst zur Auszeichnung selbst: Wie groß war Ihre Freude über diese Nachricht?

EDGAR REITZ
Auszeichnungen können vorteilhafte Auswirkungen auf die laufenden Filmprojekte haben. Leider ist dieses aber ein Jahr, das die ganze Filmbranche lahmgelegt hat. Insofern hält sich die Freude in Grenzen.

Sie haben die Verleihung des Deutschen Filmpreises nicht zum ersten Mal erlebt. Doch statt festlichem Rahmen mit viel Publikum gab es diesmal eine Fernseh-Gala ohne roten Teppich und Publikum. Sie nahmen die Lola im heimischen Wohnzimmer in Empfang. Wie ging das eigentlich vor sich? Gab es einen Boten, der die Lola überbracht hat? Oder kam sie per Post?

REITZ
Die Preistrophäe wurde durch einen Botendienst am Tag vor der Verleihung zugestellt und musste erst einmal desinfiziert werden. Am Abend selbst saß ich mit meiner Frau vor dem PC und verfolgte die Veranstaltung wie jeder andere Zuschauer. Ich hatte ein schwarzes Jackett angezogen, um die Absurdität der Situation zu betonen. Das aber wurde in der mühsam auf Unterhaltung getrimmten Veranstaltung nicht verstanden.

Was hat bei dieser Auszeichnung für Sie überwogen, Freude über den Preis oder Bedauern wegen der Umstände?

REITZ
Ehrlich gesagt, sind diese Preisverleihungen immer schwer durchzustehen. Sie dauern viel zu lange, und es kommt selten echte Stimmung auf. Durch Corona wurde das noch verstärkt.

Das Thema Heimat hat Ihr filmisches Schaffen bestimmt. Aber die Welt hat sich verändert. Der ­Rückzug in die Heimat funktioniert nicht mehr. Das Virus kommt aus der ganzen Welt bis ins kleinste Dorf. Und auf der anderen Seite werden wir coronabedingt eingeschränkt.

REITZ
Wer hätte gedacht, dass wir so etwas erleben! Ich finde es sehr aufregend, dass wir in diesem Jahr ein neues Menschheitsgefühl erfahren. Unser Planet Erde ist zum ersten Mal in der Geschichte überall von den gleichen Sorgen, Ungewissheiten, aber auch vom Bewusstsein berührt, dass wir Menschen eine gemeinsame Zukunft zu gestalten haben. Das ist neu, und es macht Hoffnung.

Das Kino wird immer wieder für tot erklärt. Auf der anderen Seite entstehen neue Filmtheater, gerade hat der Kinopalast Eifel/Mosel in Wittlich eröffnet. Glauben Sie an die Zukunft des Kinos?

REITZ
Es gehört zur Natur des Menschen, sich in realer Gemeinschaft im öffentlichen Raum zu bewegen. Die Künste bieten dabei die großen Emotionen und Einsichten, die wir zur Sinnfindung brauchen. Das Kino konnte schon immer auf besonders intensive Weise dieses Erlebnis bieten. Genau das aber kann in der Einsamkeit der Online-Dienste nicht geboten werden. Ich glaube an das Kino der Zukunft. Es wird sich in vielerlei Hinsicht neu erfinden.

In Ihrem Elternhaus in Morbach ist unter Ihrer Mitwirkung das Kino Heimat, mit 30 Plätzen das kleinste Kino in Rheinland-Pfalz, entstanden. Doch öffentliche Kinovorführungen gibt es dort derzeit nicht. Welche Chancen hat ein solches Projekt in dieser Zeit?

REITZ
Das Kino Heimat in Morbach kann nur überleben, wenn es gelingt, bei der Bevölkerung ein Interesse an bester Filmkunst zu wecken. Ich vergleiche das mit dem Konsum von Wein: Wer keine Erfahrung mit Qualität hat und wessen Geschmacksnerven nie geweckt wurden, wird Qualität nicht von Schund unterscheiden und folglich auch nicht genießen können. Das Kino Heimat ist ein Angebot an künstlerischer Qualität im Film. Es bedarf einiger Geduld, um diese Mission zum Erfolg zu führen.

Mit der Heimat-Trilogie gelten Sie inzwischen als Vater der heutigen Serien. Aber Sie selbst haben mal gesagt, dass Sie gar kein Serienfan sind. Warum nicht?

REITZ
„Serie“ ist noch lange kein Synonym für Qualität. Zur Zeit sind Serien inflationär und fast immer billige Durchschnittsunterhaltung. Auch hier gilt es, das Gute zu entdecken, was schwer ist bei so viel Mist, der produziert wird.

Unter Ihrer Schirmherrschaft finden von Sonntag an in Simmern die zweiten „Heimat Europa“-Filmfestspiele statt. Die ursprünglichen Pläne konnten nicht realisiert werden. Glücklicherweise haben die Macher eine Lösung gefunden, indem das Programm im Autokino stattfindet. Wie finden Sie das?

REITZ
Ich bin sehr gespannt, wie der neue Festspielleiter Urs Spörri das hinkriegt. Sein Enthusiasmus ist jedenfalls ansteckend und könnte einen Weg zeigen, wie es trotz zweiter Infektionswelle laufen kann. Ich wünsche allen Veranstaltern Glück und dem Publikum unvergessliche Stunden bei dieser absolut einmaligen Veranstaltung.

Unter anderem ist in Simmern der Dokumentarfilm von Anna Hepp zu sehen „800 Mal einsam – Ein Tag mit dem Filmemacher Edgar Reitz“. Wie war das für Sie, mal vor der Kamera zu stehen statt dahinter?

REITZ
Ich kenne die Situation, gefilmt zu werden, durch zahllose Interviews und Drehberichte in meinem Leben. Das Besondere an der Begegnung mit Anna Hepp war der Ort der Gespräche, das wunderbare Kino Lichtburg in Essen. An einem so traditionsgeschwängerten Platz werden die Gedanken aufgeweckt wie selten.

Sie werden selbst auch zeitweilig in Simmern vor Ort sein. Worauf freuen Sie sich besonders?

REITZ
Es ist immer wieder ein erhebendes Gefühl, in die Heimat zurückzukehren. Man glaubt, alles zu kennen und wird doch damit überrascht, dass es ganz anders sein kann als erwartet.

Sie sollen derzeit an Ihrer Autobiografie schreiben. Stimmt das?

REITZ
Ich spreche nicht gern über unfertige Projekte. Nennen Sie es ruhig Aberglauben.

Weitere Infos und Karten zum Festival „Heimat Europa“ in Simmern, das am Sonntag, 9. August, beginnt, gibt es unter www.heimat-europa.com

Zur Person

Vielfach ausgezeichneter Filmregisseur

Der Filmemacher, Autor und Produzent Edgar Reitz, geboren 1932 in Morbach, ist einer der Mitunterzeichner des Oberhausener Manifests. 1962 haben darin zahlreiche Jungfilmer ein neues deutsches Kino abseits des „Konfektionsfilms“ gefordert. Das ist die Geburtsstunde des deutschen Autorenfilms, den Reitz entscheidend mitprägt.

Eine der ersten Auszeichnungen erhält er 1967 auf dem Filmfestival in Venedig für den Film „Mahlzeiten“ über die Geschichte einer Ehe und ihres Scheiterns. Er bekommt einen Preis für das beste Erstlingswerk. Inspiriert von einer tatsächlichen Reise seiner Mutter dreht Reitz mit Hannelore Elsner, Elke Sommer und Mario Adorf Anfang der 1970er Jahre die Sittenkomödie „Die Reise nach Wien“. Filmgeschichte schreibt Reitz mit der Heimat-Trilogie (gezeigt ab 1984), die sich aus 31 abendfüllenden Einzelfilmen zu einem Jahrhundertepos über die Hunsrücker Familie Simon aus dem fiktiven Hunsrückort Schabbach zusammensetzt. Es gehört mit 56 Stunden Spieldauer zu den umfangreichsten Werken der Filmgeschichte. Nach drei Jahren Vorbereitung knüpft Reitz an die Trilogie an und dreht im Hunsrück „Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“, eine deutsch-französische Kino-Co-Produktion, die 2013 in die Kinos kommt. Edgar Reitz lebt in München.

Quelle: 07. August 2020, Trierischer Volksfreund, Ilse Rosenschild
Foto: Edgar Reitz privat

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